Die Revolution in Iran - eine Zwischenbilanz nach drei Jahrzehnten - Februar 2009

Revolutionen sind Ereignisse mit Langzeitwirkung. Viele Generationen gestalten ihre Folgen. Wer hätte dreißig Jahre nach 1789 – im Zeitalter der konservativen Restauration in Europa – ermessen, dass die französische Revolution nach blutigen Irrungen und Wirrungen die globale Ordnung prägen würde, wie sie das seit Jahrzehnten tut? Und so kann auch mit Blick auf die iranische Revolution, die einer zweitausendfünfhundertjährigen monarchischen Tradition eines bedeutenden Kulturvolkes ein Ende setzte, nach drei Jahrzehnten nur eine Zwischenbilanz gezogen werden.

„Iran zwischen den Revolutionen“ ist der Titel eines Buches eines bekannten amerikanischen Autors. In der Tat – der Bogen der Suche der Iraner nach einem Platz in einer auch im Nahen Osten auf- und umbrechenden Welt spannt sich zwischen den Revolutionen von 1905- 1907 und 1977-1979. Die – nicht zuletzt durch britische und russische Einmischung gescheiterte - erste Revolution kann durchaus als Vorspiel der zweiten, diesmal islamischen Revolution gesehen werden. Zwei Ziele haben die Revolutionäre vom Beginn des Jahrhunderts angetrieben: die Einführung einer Verfassung, d.h. die Begrenzung der absolutistischen Macht der (Kadscharen-)Herrscher und das Abwerfen des im 19. Jahrhundert gesponnenen Netzes politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeit von England und Russland. Auch damals spielte die hohe Geistlichkeit eine – letztlich ambivalente – Rolle.

Über die Pahlawi-Dynastie (1925-1979) werden die Iraner mit wachsendem Abstand zur Revolution künftig noch nachzudenken haben. Die von ihr eingeleitete Modernisierung kann nicht nur negativ bewertet werden. Sicher, als Verwestlichung daherkommend, hat sie breite Teile der Bevölkerung angesichts ihrer tiefen Verwurzelung in der schiitisch-islamischen Tradition überfordert. Aber zwischen 1941 (Rücktritt des ersten Pahlawi auf britischen Druck) und 1953 hat Iran eine demokratische Öffnung erlebt, die zwar auch anarchische Züge trug, aber grundsätzlich das Prinzip der Demokratie in der iranischen Politik verankerte. Der von der CIA unterstützte Coup gegen den charismatischen säkularen Nationalisten Mohammed Mosaddegh im August 1953 und die anschließende enge Abhängigkeit des zweiten Pahlawi von den USA hat jenen Kräften den Weg geöffnet, die Verfassungsmäßigkeit nach innen und politische Unabhängigkeit nach außen im Rahmen der Errichtung einer revolutionären islamischen Ordnung zu verwirklichen suchten. Der Sturz von Mosaddegh war der Beginn des Aufstiegs eines bis dahin unbekannten Geistlichen in Qum, des Ayatollah Khomeini.

Die Verortung der Revolution, an der sich Millionen von Iranern – und Iranerinnen! – beteiligten, kann nur widerspruchsvoll sein; zu viele Verlierer hat diese Revolution gesehen. Wir werden aber nicht fehlgehen, wenn wir sie in den Zusammenhang der Bemühungen zahlreicher nicht-westlicher Gesellschaften nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs stellen, einen Weg zu suchen, sich von dem Joch zu befreien, dem sie die Geschichte des europäischen Kolonialismus unterworfen hat. Dass dem Islam – im guten wie im bösen – eine besondere Durchschlagskraft eignet, ist seit Khomeinis Revolution unübersehbar. Ihr Ergebnis ist eine „Islamische Republik“ – dabei steht die Republik für die Moderne und der Islam für die gewollte Verwurzelung in der eigenen Tradition. 

Wer heute – und dies ist weitesthin der Fall – Iran an seinem gegenwärtigen Präsidenten und an Schlagworten wie „Mullahkratie“ festmacht, übersieht geflissentlich die tief greifende Dynamisierung der Gesellschaft im Inneren und – hier der französischen Revolution nicht unähnlich – ihre Wirkung im geopolitischen Umfeld des Landes. Wahlen finden – bei noch immer beklagenswerten Behinderungen – auf allen Ebenen von Politik und Gesellschaft statt – sie haben politische Wirkung. Das Parlament kontrolliert die Regierung. Die Presse ist eingeschränkt, dabei aber von einer nicht zu unterdrückenden Lebenskraft. Das akademische und künstlerische Leben unterliegt der Zensur, zugleich erreichen Theater und Film Weltniveau. Die Frauen sind unter das Kopftuch gezwungen; doch sind 60% der Universitätsabsolventen Frauen. Und unter dem Kopftuch ist eine Woge des Protestes einer Frauenbewegung entfesselt, die nachdrücklich eine vollständige rechtliche Gleichstellung von Männern und Frauen fordert. Von der Trägerin des Friedensnobelpreises von 2003, Shirin Ebadi, einer Streiterin für Menschen und Bürgerrechte, geht eine besondere Kraft aus. Wie in keinem anderen Land des Nahen und Mittleren Ostens ist das Internet zu einem Medium weltweiter Vernetzung von Millionen von Iranerinnen und Iranern geworden. 

In diesem Zusammenhang ist das Atomprogramm zu sehen. Die Perspektive der zivilen Nutzung der Kernenergie fasziniert die Masse der Iraner - dies aus zwei Gründen: Zum einen manifestiert es die mit der Revolution gewonnene Freiheit von den Weltmächten; die Iraner spüren, dass ihr Land heute eine Macht ist, die nicht mehr nach der Pfeife von Großmächten tanzt. Und zum anderen versetzt sie die Nutzung der Kernenergie auf die gleiche Augenhöhe mit der modernen, technologisch entwickelten Welt. Auch Shirin Ebadi hat aus ihrem Stolz darauf kein Hehl gemacht und zugleich an die internationale Gemeinschaft appelliert, das iranische Volk bei seinem Bemühen um wirkliche Demokratie zu unterstützen, denn die Demokratisierung von Staat und Gesellschaft sei die sicherste Gewähr, die Gefahr der militärischen Nutzung der Kernenergie zu bannen.

Die internationale Gemeinschaft und Iran müssen nach einem neuen Umgang suchen. Wie dieser auch aussehen kann, haben der iranische Staatspräsident Mohammed Khatami und der deutsche Bundespräsident Johannes Rau gezeigt, als sie im Juli 2000 im Schlosspark in Weimar das Denkmal des Dialogs der Kulturen eingeweiht haben. Goethe (der Dichter des West – Östlichen Diwan) und Hafez im Zwiegespräch. Davon sollte auch 30 Jahre nach der Revolution eine Botschaft ausgehen.