Wer rettet Israel aus der Verblendung? - Februar 2009

Veröffentlicht: Freitag, 20. Februar 2009 13:18

 

 

Der Krieg in Gaza kam nicht überraschend. Seinem Ausbruch liegt eine doppelte Verweigerung zugrunde: einer gerechten Lösung für den Paria-Status des palästinensischen Volkes und der Demokratie als des Weges dahin. Die Besatzung hat mit der Mauer um Rest-Palästina und den Sanktionen gegen die Menschen in Gaza eine neue Qualität erfahren. Und die Verweigerung der Anerkennung der palästinensischen Wahlen im Januar 2006 hat jene Kräfte unter den Palästinensern gestärkt, die sich nichts mehr von der Diplomatie erhoffen, sondern für eine Lösung ihres Problems mit Waffen zu kämpfen entschlossen sind. Der Krieg in Gaza ist mithin die Fortsetzung der zweiten Intifada und des Krieges im Libanon im Sommer 2006.Die Lösung des Konflikts in Gaza ist Teil einer Lösung der palästinensischen Frage insgesamt. Kommt sie nicht, wird auf den Krieg in Gaza der nächste Krieg folgen.

Die martialische Rhetorik des israelischen Verteidigungsministers: „Krieg bis zum bitteren Ende“, ruft eine alte Geschichte in Erinnerung - die von Kroisos und Kyros, welche Herodot erzählt. Ersterer, der kleinasiatische Potentat, fragte das Orakel in Delphi, was geschehen werde, wenn er das Persische Reich angreifen werde. „Du wirst ein großes Reich vernichten“, gab die Pythia Auskunft. Darauf griff Kroisos den Kyros an und vernichtete ein großes Reich – sein eigenes. Zu wessen „bitterem Ende“ werden der heutige Krieg und künftige Kriege führen?

Israels Macht und Sicherheit – in den 90er Jahren auf dem Höhepunkt - sind im Niedergang Die palästinensische Intifada konnte Israel nur mit einer Mauer beenden, die allen Prinzipien von Recht und Humanität Hohn spricht. Den Sommerkrieg konnte Israel nicht gewinnen; von ihm ging für viele Menschen im Nahen Osten das Signal aus, dass Israel besiegbar ist, wie groß immer die Opfer sein mögen. Die Qassam-Raketen erhalten eine immer größere Reichweite. In der arabischen Welt steigen Wut und Frustration; die Öffentlichkeit spürt, dass in Palästina und in Gaza nicht nur die Würde der Palästinenser sondern aller Araber (und Muslime) gedemütigt wird. Und es ist nur eine Frage der Zeit, dass die arabischen Regierungen ihren auf Ausgleich gerichteten Kurs ändern und wieder auf Konfrontation gehen. Sie merken, dass sie einige Trümpfe in der Hand haben. Der Iran macht vor, wie man den Trott der internationalen Gemeinschaft herausfordert – im Hintergrund tut sich die nukleare Dimension auf, die keine Sieger, sondern nur Besiegte kennt.

Wer macht der Verblendung ein Ende? Wo sind die Freunde Israels, Jerusalem zu drängen, einen Politikwechsel des jüdischen Staates um seiner eigenen Sicherheit willen herbeizuführen? Die USA oder die EU? Beide haben die Verweigerungen der israelischen Regierungen der letzten Jahre hingenommen. Die Scheinmanöver hießen mal „Roadmap“ mal „Annapolis“ und führten zu zwei Kriegen innerhalb von zweieinhalb Jahren.

Nach Lage der Dinge müsste sich Deutschland besonders angesprochen fühlen. Ist nicht die Sicherheit Israels, wie die Kanzlerin in ihrer Rede in der Knesseth im März 2008 sagte, ein Teil der Staatsräson der Bundesrepublik? Nur, die fatale Selbstblockade liegt darin, dass sie einen Begriff von Sicherheit meint, der ausschließlich in Jerusalem definiert wird. Wie sehr damit eine deutsche Rolle verspielt wird, hat sie bei Ausbruch des Gaza-Krieges erkennen lassen, als sie den israelischen Angriff uneingeschränkt mit der Sicherheit Israels rechtfertigte. Dass die nicht gegebene Sicherheit für hinter der Mauer schikanierte und in Gaza eingepferchte Palästinenser ein Teil des Sicherheitsproblems Israels ist, hat sie geflissentlich übersehen. Auch dass die anhaltende Landnahme, die eine Zwei-Staaten-Lösung immer mehr zur Illusion werden lässt und die Besatzung perpetuiert, ein Sicherheitsproblem für Israel darstellt, wird ausgeblendet.

Der Krieg in Gaza macht eine Politikänderung Deutschlands notwendig. Die Sicherheit Israels kann nur durch einen gerechten Frieden mit den Palästinensern gewährleistet werden. Dem muss die Regierung als im Interesse Deutschlands liegend Priorität einräumen. Dazu muss die deutsche Politik dahin kommen, die Erinnerung an die Vergangenheit von der Politik gegenüber Israel hier und heute zu trennen. Israel handelt nicht nur seinem eigenen Interesse entgegen; indem es auf auf Besatzung und Unterdrückung setzt, verkommt auch sein Ansehen unter den Aspekten von Recht, Menschrechten und Humanität. Davon ist auch Deutschland nicht unberührt: Der Zorn von Millionen Menschen im Nahen Osten richtet sich auch gegen uns; wer kann noch an Demokratie und Menschenrechte glauben, wenn die „einzige Demokratie im Nahen Osten“ Frauen und Kinder tötet.

Große Teile der Öffentlichkeit in Deutschland haben angesichts einer Politik, die den Frieden verweigert, einen Wechsel an Empathie vollzogen; sie stehen auf der Seite derer, um deren Rechte sich die Politik bislang nicht kümmerte. Die Regierung in Jerusalem scheint das begriffen zu haben. Wie anders ließe sich erklären, dass sie nichts unversucht lässt zu verhindern, dass die Öffentlichkeit die volle Wahrheit des Krieges erfährt. Die Täuschung einer demokratischen Öffentlichkeit aber ist nicht geeignet, jenseits des Krieges in Gaza Horizonte für einen dauerhaften Frieden im Nahen Osten zu eröffnen.