Passt Demokratie in die arabische Welt? - April 2003

Veröffentlicht: Dienstag, 26. Februar 2008 18:11

Mit seiner Ankündigung, den Nahen Osten demokratisieren zu wollen, hat Präsident George W. Bush ungläubiges Staunen hervorgerufen. Bei den einen, weil sie nicht glauben, daß er es wirklich ernst meint. Amerika hat keine Geschichte der Demokratisierung in der Region. Die Skeptiker verweisen auf den Iran des Jahres 1953, als das Demokratisierungsexperiment unter Ministerpräsident Mossadegh durch einen Coup des CIA in Teheran beendet wurde. Washington ist Saddam Husain nicht in den Arm gefallen, als die Hubschrauber des Diktators 1991 die Aufstände der irakischen Schiiten und der Kurden zusammenschossen . Die Reihe der Beispiele ließe sich weiter verlängern – Demokratie in der vom Ölreichtum heimgesuchten Region stand bislang nicht hoch auf der Agenda der Supermacht.

Andere verweisen auf die Diktaturen als Markenzeichen der Machtausübung im Nahen Osten. Nahezu überall halten Militärs und Geheimdienste Regime an der Macht, die allenfalls durch Scheinwahlen eine Bestätigung durch den Bürger vortäuschen. Der Irak war ein besonders brutales Lehrstück dafür, wie Gewalt an die Stelle von Legitimation tritt.

Zum dritten schließlich ist die Religion ein Argument der Demokratieskeptiker. Der Islam verhindere Pluralität, die Voraussetzung für demokratische Prozesse. Wo Religion und Politik ständig vermischt würden, sei kein Raum für politische Parteien. Die Intoleranz der Islamauslegung in Saudi-Arabien wird mit Recht zur Abstützung dieser These bemüht.

Ist damit die Thematik freilich abgehakt? Wer heute in die islamische Welt hineinhört, wird jedenfalls allenthalben den Ruf nach Demokratie hören. Bereits Ende der achtziger Jahre begeisterten sich Menschen an dem „Szenario Bukarest“: den Diktator aus seinem Palast holen, ihn an die Wand stellen und demokratische Strukturen schaffen. Vielleicht wäre es ja 1991 im Irak so gekommen, hätte man die Menschen nur gewähren lassen. Und auch bei den Palästinensern verband sich mit dem Beginn des Friedensprozesses 1993 die Hoffnung auf Demokratie – nach israelischem Vorbild.

Im übrigen lassen sich Fortschritte in Sachen Demokratie ausmachen. In Indonesien, dem Land mit der größten Zahl von Muslimen weltweit, hat demokratischer Druck in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre zur Ablösung der seit Jahren verfestigten Diktatur Suhartos geführt. Islamische Reformbewegungen haben dabei eine herausragende Rolle gespielt. In Iran ringen die Menschen unter hohem Einsatz um demokratische Mitbestimmung. Auch in der Türkei hat es mit Blick auf eine Annäherung an die Europäische Union Fortschritte gegeben. Selbst am Persischen Golf – im Emirat Bahrain – hat der Emir ein Stück von der Macht an den Bürger abgegeben.

Gleichwohl bleibt Skepsis angebracht. Der Widerspruch zwischen dem „Ruf nach Demokratie“ und der Wirklichkeit bleibt verblüffend. Immerhin aber lassen die Andeutungen erkennen, daß es keine pauschalisierende Formel gibt, das Demokratiedefizit in der islamischen Welt zu erklären bzw. es auf alle Zeiten fortzuschreiben. Jeder Fall ist schließlich anders gelagert. Stichwort Irak: Das Land hatte eine ausgebildete Elite. Die sunnitischen Araber bildeten seit osmanischen Tagen die Führungsschicht. Bildungsfortschritte gab es in den letzten Jahren bei den schiitischen Arabern und den Kurden. Der Modernisierungsprozeß hatte eine solide ökonomische Basis. Somit wären die Voraussetzungen für einen Demokratisierungsprozeß eigentlich nicht schlecht. Dies umso weniger, als es bei Schiiten und Kurden Ansätze politischer Parteien und einer Trennung von Religion und Politik gibt. Zehn Jahre von Diktatur plus Embargo haben die Voraussetzungen zum Teil zerstört.

Der Mittelstand wurde ausgeblutet; somit fehlt eine wichtige Trägerschicht. Die Herrschaft der sunnitisch-arabischen Minderheit entspricht nicht mehr ihrem Anteil an der Bevölkerung. Die Neuordnung der Macht aber zugunsten der Schiiten wird nicht durch ein Machtwort aus Washington zu bewerkstelligen sein. Die Frage nach dem Geschick der kleinen religiösen und ethnischen Minderheiten, der Christen und Turkmenen, ist noch nicht einmal gestellt. Und wie werden sich die Kurden entscheiden – werden sie nicht doch versucht sein, einen eigenen Staat zu gründen?

Die Schaffung eines demokratischen Irak kann also nur das Ergebnis eines langen Entwicklungsprozesses sein. Die entscheidenden Impulse müssen von innen kommen. Die Iraker welcher ethnischer und religiöser Zugehörigkeit immer müssen wirtschaftlich und politisch einen Sinn in einer demokratischen Ordnung sehen. Das bedarf der Zeit. Auf ihrem Weg zu einer demokratischen Ordnung müssen sie von außen begleitet werden. Nach Lage der Dinge kommen dafür nicht die „Siegermächte“, sondern nur die Vereinten Nationen infrage.

Jede Gesellschaft im Nahen Osten muß ihren eigenen Weg zu Demokratie und Freiheit gehen. Dabei sollte man sich von zwei Klischees verabschieden: Zum einen daß Demokratie von außen gleichsam als politische Ingenieurleistung nach amerikanischer oder europäischer Blaupause errichtet werden könne. Zum anderen, daß die Menschen im Nahen Osten und in der islamischen Welt aus kulturellen oder religiösen Gründen zu Demokratie unfähig seien. Die Mehrheit der Menschen dort widersprechen dem heftig.

Präsident Bush’s Botschaft ist in der Sache also richtig. Das Problem ist, daß sie von einer Macht kommt, der in den Augen der Menschen in der islamischen Welt die Glaubwürdigkeit fehlt. Noch ist es aber nicht zu spät, glaubwürdig zu werden. Die Formel dafür liegt in der Abkehr von einer Politik der doppelten Standards. Das heißt: Nicht mehr Unterstützung der Regime um jeden (Öl-)preis, etwa derjenigen auf der Arabischen Halbinsel; Unterstützung vielmehr für die demokratisierenden Kräfte in den islamischen Gesellschaften. Die Nagelprobe für ein glaubwürdiges Amerika liegt zunächst in Palästina. Wenn es dort bald zu einer auf Gerechtigkeit und Völkerrecht beruhenden Lösung kommt, wird der amerikanische Präsident zur Neugestaltung der Region einen immensen Beitrag leisten.