Benedikt & Abdallah - der Katholisch-Islamische Dialog zw. Theologie und Politshow - September 2009

Veröffentlicht: Freitag, 25. September 2009 12:00

Hat der Dialog der Religionen im November 2008 eine neue Qualität erhalten? Theologisch und religionspolitisch bemerkenswert jedenfalls war die erste gemeinsame Erklärung des „Katholisch-Muslimischen Forums“ zum Thema „Gottes- und Nächstenliebe“, das vom 7. – 9. im Vatikan tagte. In ihr bekennen sich beide Seiten u.a. zum Recht auf Religionsausübung und zur Achtung religiöser Minderheiten. Das „Forum“ wendet sich gegen Gewalt und Terrorismus – „vor allem jenen, der im Namen der Religion verübt wird“. Eher dem Rubrum „Dialog-Show“ wird man die Veranstaltung zurechnen, die eine Woche später (12.11.) in New York stattfand. Etwa 70 world leaders versammelten sich dort im Rahmen der UNO-Vollverdammlung unter dem Motto: „Interfaith initiatives can ensure rich cultural diversity; make world more secure“. Besonders auffallend war die hohe Sichtbarkeit des saudi-arabischen Königs Abdallah. Wie lassen sich beide Veranstaltungen verorten?

Der Rückblick des Beobachters fällt auf ein Ereignis, das zunächst den Graben zwischen der christlich-westlichen und der islamischen Welt eher zu vertiefen schien: die Rede, die Papst Benedikt XVI. am 12. September 2006 in Regensburg gehalten hatte. Insbesondere ein Zitat aus einem Dialog des byzantinischen Kaisers Manuel II. mit einem muslimischen Gelehrten (1391) hatte den Zorn einer breiten Öffentlichkeit in der islamischen Welt erregt: „Zeig mir doch, was Mohammed Neues gebracht hat und da wirst Du nur Schlechtes und Inhumanes finden wie das, dass er vorgeschrieben hat, den Glauben, den er predigte, durch das Schwert zu verbreiten.“ In den sich anschließenden Ausführungen nimmt der Papst eine katholische Standortbestimmung des Verhältnisses von Glaube und Vernunft (logos) vor; dabei bezieht er sich auf den Kaiser, der in seinem Gespräch mit dem Muslim eingehend begründet habe, warum Glaubensverbreitung mit Gewalt widersinnig sei. Und er schließt: „In diesen großen Logos, in die Weite der Vernunft laden wir beim Dialog der Kulturen unsere Gesprächspartner ein.“

Jenseits aller Aufregung und Empörung war unüberhörbar, dass der Papst eine zentrale Herausforderung an den Islam in der Gegenwart, die Gewalt im Namen der Religion, angesprochen hatte. Wo sind die Stimmen islamischer Theologen angesichts dieser Instrumentalisierung von Religion? Die Ideologen der Gewalt und des Terrors waren und sind zur großen Mehrheit Laien, die den Islam für ihre Deutung des politischen und gesellschaftlichen Zustands der islamischen Welt in Anspruch nehmen. (Khomeinis – schiitische - islamische Revolutionstheorie ist eine Ausnahme, die die Regel bestätigt.) Richtete sich diese Gewalt aber nicht in erster Linie gegen islamische Gesellschaften und deren Regime? Und es ist diese Gewalt, die die Beziehungen zwischen Christen und Muslimen zunehmend belastet – mit handfesten Problemen auf beiden Seiten: den Übergriffen auf Christen in der islamischen Welt und der Entfremdung zwischen den muslimischen Minderheiten und christlichen Mehrheiten in europäischen Gesellschaften. Überhaupt lassen Islam-Skeptiker keine Gelegenheit aus, auf das Missverhältnis zwischen der Stellung von Christen in der islamischen Welt (nicht zuletzt auch der Fremdarbeiter christlichen Glaubens in Saudi Arabien) und der Rechte hinzuweisen, die Muslime in Europa beanspruchen und genießen.

Wenn es das Kalkül hinter der päpstlichen Provokation gewesen sein sollte, die Theologen auf die Bühne zu rufen, so ist Benedikt ein Coup von außerordentlicher Tragweite gelungen. Bereits einen Monat nach der Rede (am 12. Oktober) meldeten sich 38 islamische Theologen in einem offenen Brief zu Wort. Dies war an sich schon ein Ereignis. Da der Islam keine kirchliche Hierarchie aufweist, mussten weltweit Theologen gewonnen werden, dem Dokument einen repräsentativen Charakter zu geben. Das war der Fall. Geistliche sowie Professoren der Theologie aus zahlreichen Ländern (auch aus Saudi Arabien), Sunniten und Schiiten gehören zu den Unterzeichnern. Respektvoll, aber nicht ohne Kritik greifen sie vier Themen der Papst-Rede auf: „Kein Zwang in der Religion“; „Transzendenz Gottes“; „Gebrauch der Vernunft“; „Was ist der Heilige Krieg“.

Ein Jahr später (im Oktober 2007) folgt ein noch gewichtigeres Dokument. „Eine gemeinsames Wort zwischen uns und Euch“ lautet das Thema; es ist von 138 Theologen unterschrieben. Im Mittelpunkt stehen die Liebe Gottes und des Nächsten. In koranischer Auffassung habe die Seele drei Essenzen: die Vernunft zum Verständnis der Wahrheit; den Willen mit Blick auf die Freiheit der Entscheidung; und das Gefühl, um Gott und das Schöne lieben zu können. Daran dass sich diese Stellungnahme auf die Ausführungen des Papstes bezieht, kann kein Zweifel bestehen, auch wenn sie zugleich an andere Kirchen, diverse protestantische und orthodoxe, adressiert war.

Dass der sich entspinnende Dialog der Theologen zugleich auch eine politische Dimension hatte, sollte sich zeigen, als zwei Monate nach der Veröffentlichung der Erklärung der 138, am 6. November 2007, der saudische König Abdallah von Papst Benedikt XVI. empfangen wurde. Der Papst und der oberste Repräsentant des wahhabitischen Königreichs, dem der Ruf anhängt, über die Jahrzehnte islamistische Gewalt an unterschiedlichen Plätzen und in unterschiedlichen Zusammenhängen gefördert zu haben - wie passte das zusammen? Mit welcher Autorität und mit welcher Intention würde der saudische König sprechen, da noch immer in seinem Land antiwestliche Hassprediger nicht verstummt sind und die Praktizierung aller nichtislamischen Kulte eingeschränkt ist?

Spätestens mit dem Terrorakt von Riyadh im Mai 2003 hatte die saudische Führung erkannt, dass sich die Gewalt seitens militanter Muslime auch gegen das den USA eng verbundene Saudi Arabien richtete. Als Reaktion darauf waren eine Reihe von politischen (u.a. Wahlen zu lokalen Volksvertretungen) und religionspolitischen Reformmaßnahmen getroffen worden. Die öffentliche Sichtbarkeit der Religionspolizei wurde zurückgedrängt; eine Reihe radikaler wahhabitischer Zentren wurde geschlossen, Prediger stärker zensiert. In einem präzedenzlosen Schritt hatte Abdallah schon im April 2003 eine Delegation saudischer Schiiten empfangen, die ihm eine Petition mit der Forderung nach bürgerlicher Gleichstellung mit der sunnitischen Mehrheit übergab. Der Krieg im Libanon (2006) hatte gezeigt, dass die Radikalisierung der „arabischen Straße“ die Stabilität der gesamten Region zunehmend bedrohte. In seiner offiziellen Eigenschaft als „Diener der beiden heiligen Stätten“ (Mekka und Medina) fühlt sich der saudische Monarch berufen, als Sprecher der gesamten islamischen Welt zu aufzutreten.

Die Sorge des Papstes wiederum gilt angesichts islamistischer Gewalt im Nahen Osten dem autochthonen orientalischen Christentum sowie jenen Hunderttausenden von Christen aus aller Welt, die sich in den ölreichen Ländern – nicht zuletzt in Saudi Arabien – verdungen haben, denen aber das Recht auf freie Religionsausübung und andere Menschen- und Bürgerrechte vorenthalten bleiben.

Seit dem Besuch Abdallahs in Rom zeichnet sich eine zweigleisige Strategie ab: gemeinsame theologische Standortbestimmung auf der einen und deren Projektion in den politischen Raum auf der anderen Seite. Sie hat das Dialoggeschehen im Jahr 2008 bestimmt. Zunächst galt es, den theologischen Dialog zu institutionalisieren. Dies geschah durch die Gründung des „Katholisch-Muslimischen Forums“ am 5. März 2008 in den Räumen des Vatikans. Jeweils fünf Persönlichkeiten auf jeder Seite würden eine Art Steuerungsgruppe bilden (wobei auf vatikanischer Seite mit dem „Päpstlichen Rat für den Interreligiösen Dialog“ ein bewährter Akteur gegeben ist). War der Dialog mit dem sunnitischen Islam auf die Schiene gebracht, so folgte Ende April 2008 eine inhaltlich noch konkretere Verständigung mit Vertretern des schiitischen Islam, in diesem Falle vertreten durch das „Zentrum für Interreligiösen Dialog der Organisation Islamischer Kultur und Beziehungen“ in Teheran. Diese Organisation steht der iranischen Frührung nahe und kann als das Instrument gesehen werden, mittels dessen diese im Namen des schiitischen Islam sowohl den Dialog mit den anderen Religionen als auch die „Annäherung“ (taqrib) an den sunnitischen Islam betreibt. Glaube und Vernunft widersprechen einander nicht, heißt es in der gemeinsamen Erklärung; sie können nicht zur Legitimierung von Gewalt missbraucht werden. Auch dürften religiöse Traditionen nicht auf der Basis eines einzelnen Verses oder einer Passage in den jeweiligen Heiligen Schriften beurteilt werden. Anfang Juni erfolgte eine für den weiteren Dialog strategische Abstimmung zwischen Sunniten und Schiiten. Dazu ergriff die „Islamische Welt-Liga“ die Initiative. Diese war 1962 von Gelehrten aus 22 islamischen Ländern in Mekka gegründet worden. Von Anfang aber war sie ein Vehikel, über welches das saudische Regime konservativ sunnitisch-islamische Kräfte weltweit zu stärken bemüht war. In der „Erklärung von Mekka“ wurde beschlossen, Konferenz-Foren und Diskussionsveranstaltungen zwischen den Anhängern der prophetischen Botschaften und einschlägigen Zivilisationen, Kulturen und Philosophien abzuhalten, zu denen Akademiker, Medien und religiöse Führer eingeladen würden.

Das bis zu diesem Punkt Erreichte ist insbesondere mit Blick auf die islamische Seite bemerkenswert. Hat sie sich doch auf eine thematische Agenda eingelassen, deren Eckpunkte wesentlich von Benedikts Regensburger Rede abgesteckt sind. Zugleich ist es gelungen, eine sprachfähige Vertretung in einer – nahezu – globalen Dimension über die Differenzen von theologischen Schulen und Konfessionen hinaus zu konstituieren.

Mit der von der „Islamischen Welt-Liga“ – unter der gemeinsamen Schirmherrschaft des saudischen und spanischen Königs - vom 16. – 18. Juli 2008 in Madrid veranstalteten Großveranstaltung sollte der Dialog öffentliches Profil erhalten. An die 300 Vertreter aller großen Religionen und Zivilisationen saßen am Tisch – für den saudischen König besonders sensibel: auch des Judentums. Der Vorsitzende des „Päpstlichen Rates für den Interreligiösen Dialog“, Kardinal Tauron, konnte dann auch den Sinn des Geschehens dahingehend zusammenfassen: Aus dem Appell von Mekka gehe das Bild eines Islam hervor, der sich der Weltöffentlichkeit mit einem anderen Gesicht präsentieren wolle als dem, das vom extremistischen Terrorismus gezeichnet werde. Ähnlich hatte sich auch Abdallah in seiner Eingangsansprache verlauten lassen. Damit hatte er das politische Anliegen des Dialogs der Theologen noch einmal deutlich gemacht.

Die eingangs angesprochenen Veranstaltungen im November 2008 können als Engführung beider Schienen des Dialogs gesehen werde: der Show und der Vertiefung des theologischen Dialogs. Die die erste Veranstaltung des „Katholisch-Muslimischen Forums“ abschließende Erklärung berührt wesentliche die Beziehungen zwischen dem Islam und dem Westen herausfordernde Themen: die Gewalt, die Gleichheit der Geschlechter, die Freiheit des Willens und den Respekt vor der Person und ihren Entscheidungen in Gewissens- und Religionsfragen sowie schließlich den Anspruch religiöser Minderheiten auf Ausübung ihres Glaubens und auf Nicht-Diskriminierung.

Damit ist viel erreicht, auch wenn es noch keine gleichsam einklagbaren Kriterien des Verhaltens auf beiden Seiten gibt. Anlässlich eines Empfangs, den der Papst für die Teilnehmer an dem Forum gab, hat Benedikt konkrete Schritte angemahnt: Die politischen und religiösen Führer hätten die Pflicht, die freie Ausübung aller Rechte in vollem Respekt der Freiheit eines jeden Individuums und der Gewissens- und Religionsfreiheit sicher zu stellen. Dahinter können – im Prinzip - auch die politischen Führungen in der islamischen Welt nicht mehr zurück. Wie wird mit Glaubenswechsel, der im islamischen Raum als Apostasie vielerorts mit schweren Strafen – bis zur Todesstrafe – und gesellschaftlicher Ächtung geahndet wird, umgegangen? Wie kann die Stellung des orientalischen Christentums verbessert und abgesichert werden? Und wie wird die Ausübung des christlichen Glaubens – nicht zuletzt in Saudi Arabien – seitens der dort tätigen z.B. philippinischen Männer und Frauen gewährleistet? Werden sich die dialogbereiten Reformer theologisch gegen diejenigen durchsetzen, die den Dialog noch hartnäckig verweigern?

Anders als auf der christlich-katholischen ist es auf der islamischen Seite schwer, Religion und Politik zu trennen. So ist es nicht überraschend, dass sich politische Führer engagieren, dem Dialog geöffnete Theologen von Rang Gehör und Gewicht zu verschaffen. Zu lange haben die radikalen „Deuter“ des Islams die religiöse und politische Bühne beherrscht. Auf dem Weg des religiösen Dialogs sind nun erste Schritte in Richtung auf eine Allianz gegen die Gewalt, für die Verbesserung der Menschenrechte und zur Förderung der Glaubensfreiheit getan worden. Dies sollte der Absicherung der Stellung religiöser Minderheiten in der islamischen Welt ebenso Impulse verleihen wie Fortschritten bei der Förderung der Integration von Muslimen in westlichen Gesellschaften.

In zwei Jahren soll ein weiteres theologisches Forum den begonnenen Faden fort spinnen. Dies müsste nach der Logik der Dinge irgendwo im islamischen Raum geschehen. Noch darf spekuliert werden, wo dies sein könnte. Der ökumenischen Dimension der Thematik aber würde es entsprechen, wenn mit den muslimischen nicht nur katholische Theologen am Tisch säßen.