Der Islam in Deutschland - November 2005
„Hannibal ante portas“ – das mag vielen Römern kaum erschreckender geklungen haben als “Der Islam in Europa” vielen Europäern. Selbst manch einem klugen und weltoffenen Beobachter bereitet dieser Tatbestand Unbehagen und führt zu beunruhigten Spekulationen: Bernard Lewis, Altmeister der anglo-amerikanischen Orientalistik, vermutet, spätestens gegen Ende des 21. Jahrhunderts werde die Bevölkerung Europas mehrheitlich muslimisch sein – Europa werde „Teil des arabischen Westens“ sein. Und Frits Bolkestein, bis Oktober 2004 für Binnenmarkt und Zollunion zuständiger EU-Kommissar, warnt vor der Einwanderung aus islamischen Ländern; er zeichnet ein düsteres Bild: Die USA blieben die einzige Supermacht, China werde ein wirtschaftlicher Riese und „Europa wird islamisiert“. Er erinnert an die türkische Belagerung Wiens im Jahre 1683 und spekuliert mit Bezug auf Bernard Lewis: „Sollte er recht behalten, wäre die Befreiung Wiens vergeblich gewesen.“
Irritationen, schlechte Stimmung und Abwehrhaltung kommen nicht von ungefähr. Die Gewalttätigkeit islamistischer Extremisten im Nahen Osten mit ihren antiwestlichen Parolen ist ein Grund. Befinden wir uns in einem „Kampf der Kulturen“? Schockierender noch wirkt das Überspringen des Gewaltfunkens nach Europa. Das Attentat auf die Madrider Vorortszüge am 11. März 2004, die Ermordung Theo van Goghs in Amsterdam am 2. November desselben Jahres und die Attentate auf die Londoner Metro am 7. Juli 2005 ließen blitzartig weithin die „Erkenntnis“ aufkommen, die Integration der Muslime in die europäischen Gesellschaften sei gescheitert; manch ein aufgeschreckter Bürger auch hierzulande wollte hinter den Unruhen in den Banlieus französischer Großstädte wesentlich die Militanz islamistischer Jugendlicher sehen.
Deutschland ist von gravierenden Gewalttaten bislang verschont geblieben. War dies nur der Fall, weil die Sicherheitskräfte effizient gearbeitet haben? Wiederholt wurden nach dem 11. September 2001 vereinzelte militante Islamisten bei der Vorbereitung von Gewalttaten überrascht und vor Gericht gebracht. Gibt es einen deutschen Weg der Gestaltung der Beziehungen zwischen der Mehrheit und der nichtmuslimischen Minderheit? Oder trifft zu, was die für die innere Sicherheit Verantwortlichen seit Jahren sagen: Auch Deutschland sei gegen Gewalttaten, die einen ideologisch-religiösen Hintergrund haben, nicht grundsätzlich gefeit?
Tatsächlich ist prinzipiell richtig, daß die Zuwanderung von Muslimen aus der Türkei, Nordafrika, dem indischen Subkontinent und anderen Teilen der islamischen Welt ein gesamteuropäischer Tatbestand ist. Die Ursachen sind ebenso bekannt wie irreversibel. Sie reichen von der Revolution der Informationstechnik über wirtschaftliche Interdependenz und gesteigerte Mobilität bis zur Vertiefung der Kluft zwischen dem wohlhabenden europäischen Norden und dem Süden, zu dem auch weite Teile der islamischen Welt gehören. Jede europäische Gesellschaft, die in den vergangenen vierzig Jahren Ziel von Migrationsströmen aus der islamischen Welt gewesen ist, hat das Zusammenleben nach ihren eigenen sozialen und kulturellen Regeln gestaltet, die in eigenen Traditionen wurzeln.
Tatsache ist auch, daß das Zusammenleben von Nichtmuslimen und Muslimen in europäischen Gesellschaften aufs ganze gesehen eher gedeihlich (wenn auch nicht durchweg problemlos) verlaufen ist. Circa 12 Millionen Muslime leben in Westeuropa (bei unterschiedlichen Anteilen an der Bevölkerung: Deutschland und Österreich 3,7 %, Schweiz 4,2 %, Niederlande 5,3 %, Frankreich 6,8 %). Auch die Gewalttaten islamistischer Extremisten in europäischen Städten haben nirgendwo zu einer breiteren militanten Protestbewegung gegen europäische Gesellschaften und ihre politischen Ordnungen geführt. Tatsache ist freilich auch, daß Gewalttaten, die eine islamistische Begründung haben, zugenommen haben. Dies gilt unzweifelhaft für die islamische Welt selbst (mit dem Irak als Brennpunkt sowie den Ausstrahlungen im arabischen Raum und darüber hinaus bis nach Indonesien) wie für Europa.
Damit ist zugleich angedeutet, daß die außer- und innereuropäische Dimension islamistischer Gewalt miteinander verflochten sind. Für eine Erklärung der Steigerung von Gewalthaftigkeit und Gewaltbereitschaft einzelner Muslime in Europa reicht es jedoch nicht, nur auf externe Ursachen zu blicken. Auch im Inneren europäischer Gesellschaften ist viel zu tun, um auf Dauer ein stabiles Verhältnis herzustellen, das auf gemeinsamen Werten, allseitig bejahten gesellschaftspolitischen Zielen und engagierter Partizipation in den demokratischen Institutionen beruht.
Für Deutschland ist die Einwanderung von Muslime eine von zahlreichen anderen Herausforderungen, die heute mit dem Schlagwort der „Globalisierung“ bezeichnet werden. Im Unterschied zu anderen europäischen Gesellschaften, die über koloniale Traditionen verfügen, gab es keine Regeln und Erfahrungen im Umgang mit den Angehörigen einer Weltregion, die im übrigen seit der Abschaffung des Kalifats durch Kemal Atatürk (1924) jahrzehntelang weder als Religion noch als gesellschaftliches oder politisches Phänomen sonderlich aufgefallen wäre. Für die Migranten nach Deutschland, die zur Masse aus sozialen Unterschichten und traditionellen Milieus kamen, war das Leben in der neuen Umgebung eine Herausforderung. Nicht nur stand die Frage im Raum, die seit Jahrhunderten von Theologen diskutiert worden war, ob es denn prinzipiell für Muslime möglich sei, in Gesellschaften und politischen Ordnungen, die auf anderen denn islamischen Grundlagen beruhten, zu leben. Auch wenn die Türkei seit ihrer Gründung 1923 ein laizistischer Staat war, in dem Religion und Politik getrennt waren, so war ein auf Dauer zu erwartender Status als Minderheit in einer nicht-islamischen Umgebung etwas Beunruhigendes. Anders als im Falle von Migranten etwa aus Italien, Spanien, Portugal stand keine Kirche bereit, die beigetragen hätte, ihre Identität zu wahren und zu stärken.
Der Ausweg lag in der Gründung zahlloser islamischer Vereine und Verbände. Sie reflektierten sowohl ethnisch die Herkunftsländer der Muslime als auch die unterschiedlichen Formen, in denen der Islam als Glaube wie als Lebensform verstanden werden kann. Naturgemäß dominierten türkischstämmige und türkischsprachige Organisationen. Unter ihnen war und ist der Ableger des offiziellen „Amtes für Religiöse Angelegenheiten“ beim Ministerpräsidenten, die „Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion“ (DITIB), die mitgliederstärkste. Die in der Türkei ausgebildeten und dem kemalistischen Prinzip des Laizismus verpflichteten Gemeindevorsteher sind offiziell von der Regierung in Ankara entsandt und werden von den Religionsattachés an der türkischen Botschaft bzw. den Konsulaten betreut. Auch wenn andere Moscheevereine weniger oder gar nicht offiziös sind, so reflektierte DITIB ein Grundproblem des Islams in Deutschland: Die überwältigende Zahl der Muslime hatten und haben ihre religiösen Wurzeln wie ihre institutionelle Anbindung außerhalb Deutschlands. Sie waren damit ein türkisches bzw. ausländisches Phänomen. Der Islam war auf diese Weise programmiert, das „andere“ und das „Fremde“ schlechthin zu bleiben. Die mit den Jahrzehnten entstehenden ghettoartigen Wohnballungen taten ein übriges, in breiten Teilen der nichtmuslimischen Mehrheit ein Gefühl entstehen zu lassen, als seien „Türke“ und „Muslim“ identisch mit schwer oder gar nicht integrierbaren Mitbürgern. Orte des Verdachts auf Ghettobildung und damit auf Entstehung einer Parallelgesellschaft waren etwa Berlin-Kreuzberg, Duisburg-Marxloh oder Köln-Chorweiler.
Es gibt in Deutschland gleichwohl noch keine ausgeprägte Islamophobie; in England ist „islamophobia“ längst zu einem die gesellschaftliche Einstellung charakterisierenden Schlagwort geworden. Es ist auch noch nicht lange her, daß der Islam begann, hierzulande zu einem Phänomen von erheblicher sozialer und kultureller Brisanz zu werden. Noch vor einem Jahrzehnt waren Muslime im wesentlichen eine Zielgruppe von Theologen, die den professionellen Religionsdialog suchten, oder Sozialarbeitern, die den Versuch machten, die sozialen Probleme von Gastarbeitern zu erleichtern. Daß sich dieses verändert hat, ist einer Reihe von Wandlungen zuzuschreiben. Zum einen können sich auch Muslime in Deutschland nicht jenem Erwachen verschließen, das Muslime weltweit erleben. Nach Jahrzehnten der Dominanz westlicher Ideen, Ideologien und Entwicklungskonzepte geht eine starke Bewegung durch den Raum zwischen dem Atlantik und dem Pazifik, Zentralasien und subsaharischem Afrika, die Muslime im Glauben wie im gesellschaftlichen Leben wieder zu ihrer Religion zurückführt. Dieser Prozess hat viele Facetten; die neue Popularität des Kopftuchs gehört dazu – und das hat mit Politisierung, Radikalisierung oder gar Gewalt und Terror allenfalls am Rande zu tun. Gerade auch unter den Bedingungen der Fremde ist diese Rückbesinnung auf die islamische Identität zu spüren.
Zum anderen sind aus Gastarbeitern Migranten, also Einwanderer, geworden. Gegen Mitte der neunziger Jahre wurde unübersehbar, was sich seit längerem abgezeichnet hatte: Die Muslime sind hier, um zu bleiben. Mit dieser Tatsache war die Perspektive eröffnet, sich in der Gesellschaft zu verankern. Wie aber würde der deutsche Bürger muslimischen Glaubens beschaffen sein? Ein naheliegender Schritt – wenn auch mit hohen Emotionen behaftet – war der Auszug der Muslime aus den Hinterhöfen und der Bau von Moscheen als nunmehr ordentlichen Kultstätten. Gerichtlich durchgesetzt werden musste die Forderung, Tiere nach islamischem Ritual zu schlachten. Indem der Islam nunmehr gerade auch durch die Medienberichterstattung zunehmend sichtbar wurde, verfestigte sich in breiten Teilen der Bevölkerung der Verdacht, die Mehrheitsgesellschaft müsse einseitig Kompromisse machen; zwischen dem islamischen Gesetz, der Scharia, und dem Wertesystem „unserer“ Gesellschaft bestünden unaufhebbare Differenzen.
Langsam aber spürbar entspinnt sich ein substantieller Dialog zwischen der muslimischen Gemeinschaft und der nichtmuslimischen Mehrheitsgesellschaft, der darauf gerichtet ist, die Irritationen und Spannungen zu überwinden und Grundlagen des Zusammenlebens zu schaffen. Dies hat damit zu tun, daß insbesondere in der zweiten Generation Muslime auftreten, die in beiden Welten verwurzelt sind: selbstbewusst in ihrer Religion wie pragmatisch in der Erkenntnis, daß es zu einer Einordnung in das der deutschen Gesellschaft zugrunde liegende Wertesystem und einer aktiven Bejahung der Verfassung keine Alternative gibt. Die Konzepte, wie dies zu erreichen sei, jedoch sind eher noch diffus, diesbezügliche Maßnahmen disparat. So steht etwa das Stichwort des „Euro-Islam“ im Raum. Er hat starke normative Züge: Die Muslime müssten Demokratie und Menschenrechte, die Gleichheit von Mann und Frau, die Trennung von Religion und Staat gleichsam in ihr Glaubensbekenntnis aufnehmen. Es ist eben dieser normative Charakter, der unter Muslimen Befürchtungen weckt, „Euro-Islam“ könne einen Verlust elementarer Glaubensinhalte und zugleich einen Anspruch von Nichtmuslimen bedeuten, ihrerseits zu definieren, was der Islam sei. Die islamischen Funktionäre bevorzugen deshalb, von einer „pragmatischen Anpassung an die europäische Lebensweise“ zu sprechen.
Was aber heißt das? In den Bemühungen, das Spannungsverhältnis zwischen einem traditionellen Islamverständnis und den Gegebenheiten europäischer Gesellschaften aufzulösen, kommt so manches Argument noch recht rabulistisch daher. Die vom Zentralrat der Muslime in Deutschland 2002 verabschiedete „Islamische Charta“ bildet diesbezüglich keine Ausnahme. Zu einer Aussage wie dieser: „Es besteht kein Widerspruch zwischen der islamischen Lehre und dem Kernbestand der Menschenrechte“ hat es begreiflicherweise zahlreiche Nachfragen gegeben. Ähnlich ausweichende Formulierungen finden sich an anderen Stellen; dies gilt für das Recht auf freie Religionsausübung bzw. Religionswechsel. Immerhin – ein solches Gesprächsangebot ist geeignet, Berührungsängste grundsätzlicher Art abzubauen. Wenn erst einmal im großen eine Annäherung erreicht ist, wird man sich auch über äußerliche kontroverse Standpunkte unbefangener verständigen; als da sind Kopftuch und Inhalte des Schulunterrichts. Die angestrebte „europäische Lebensweise der Muslime“ – so schwach definiert sie im einzelnen ist – beinhaltet weitere Facetten, die immer deutlicher hervortreten, so etwa die Hinwendung zur deutschen Sprache im Rahmen des Kultus und des Religionsunterrichts. Damit verbindet sich nicht zuletzt eine tendenzielle Abkoppelung der muslimischen Gemeinden von den islamischen Strukturen und Lehrinhalten der Herkunftsländer. Die Gründung von theologischen Lehrstühlen an europäischen Universitäten verleiht der Europäisierung des Islam einen weiteren Schub. In Deutschland sind in jüngster Zeit Gründungen an den Universitäten Münster und Frankfurt am Main erfolgt.
Wer aber spricht für „den Islam in Deutschland“? In dieser Situation, da es gilt, grundsätzliche Weichenstellungen im Integrationsprozess vorzunehmen, erwies sich als besonders problematisch, daß der Islam nicht über kirchliche Strukturen bzw. einen organisierten Klerus verfügt, der mit Autorität Fragen der theologischen und religionsrechtlichen Erneuerung beantworten kann. Von ihrem Werdegang und ihrer Ausbildung in Deutschland einschlägig vorbereitete und durch Kenntnis oder Charisma herausragende Persönlichkeiten sind nicht in Sicht. Die Qualifikation der Sprecher und Funktionäre in den Vereinen und Verbänden, in denen Muslime in Deutschland organisiert sind, wurde, um nur eine kleine Auswahl zu nennen, in den Politikwissenschaften, dem Maschinenbau, der Pädagogik oder der Medizin erworben. Entsprechend vielfältig ist der Chor, wenn es um die entscheidende Frage geht, nämlich die Geltung der Scharia, die mit der göttlichen Offenbarung selbst und der Überlieferung des Propheten Muhammad untrennbar verbunden ist. Unter „Scharia“ verstehe jeder etwas anderes. Man müsse erst einmal festlegen, was davon in welchem Kontext übertragbar sei, meint der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland. Damit dürfte er die Überzeugung einer Mehrheit von Muslimen in Deutschland widerspiegeln.
Der Terrorakt vom 11. September 2001 und die Welle von Gewalt, die weithin in der islamischen Welt – mit ihren Ausläufern in Europa – losgetreten wurde, haben die Befangenheit im Umgang zwischen der islamischen Gemeinde und dem nichtislamischen Umfeld in Deutschland wieder verstärkt. Das Gefühl ist weit verbreitet, daß die Maßnahmen zur Verbesserung der inneren Sicherheit in erster Linie auf Muslime in Deutschland gezielt hätten. Die Stimmung hat sich verdüstert: Während die deutsche Öffentlichkeit deutlichere Signale der Distanzierung und Verurteilung islamistischer Terrorakte verlangt, beklagen die Sprecher der islamischen Verbände, daß Muslime einem Pauschalverdacht der Gewaltbereitschaft oder Sympathie mit Gewalttätern ausgesetzt seien.
Die Frage, ob es auch in Deutschland zu Terroranschlägen kommen könne, ist insbesondere nach den Anschlägen von Madrid und London intensiv erörtert worden. Zwar versichern die Behörden, daß es keine akuten Hinweise auf Bedrohung gebe. Zugleich aber wird auf Ermittlungserfolge verwiesen, durch die in den letzten Jahren Straftaten vereitelt worden sind. Auch sind erste Urteile gegen extremistische Islamisten im Zusammenhang mit der Vorbereitung von Gewalttaten verhängt worden. In der Gegenwawrt sind umfangreiche polizeiliche Ermittlungen anhängig.
Bei der Suche nach Gruppen, die in besonderer Weise „extremistischen“ islamistischen Standpunkten zuneigen könnten, ist von den Sicherheitsorganen immer wieder die türkische Organisation „Milli Görü?“ aktenkundig gemacht worden. An dieser Stelle jedoch zeigt sich mit besonderer Eindringlichkeit, welcher Behutsamkeit und Sensibilität die Thematik des „islamistischen Extremismus“ bedarf. „Milli Görü?“ ist auf dem Gegenpol zur offiziösen laizistischen türkisch-islamischen Organisation DITIB zu verorten. Über Jahre wurde nicht zuletzt vom Verfassungsschutz der Vorwurf erhoben, sie strebe in Deutschland die Errichtung einer Parallelgesellschaft an und unterstütze in der Türkei Kräfte, die auf die Errichtung einer islamischen Ordnung gerichtet seien. Auch vom Verfassungsschutz wird heute anerkannt, daß sich in den letzten Jahren in der Organisation Veränderungen vollzogen hätten (auch wenn diese nicht ausreichten, die Beobachtung einzustellen). Eine junge Generation ist um mehr Offenheit und interne Demokratie bemüht. Die Beziehungen zu ihrer „Mutterorganisation“ sind gelockert. „Milli Görü?“ könnte symptomatisch für eine positive Seite des Schocks vom 11.9.2001 werden: Die in der islamischen Gemeinschaft zunehmende Einsicht, daß es zu einer Integration in die deutsche Gesellschaft keine Alternative gibt. Die bereits erwähnte „Islamische Charta“ war ein erster Schritt, nach der Vereinbarkeit von Elementen des islamischen Glaubens der Migranten mit dem Wertesystem des Grundgesetzes zu suchen. Unter intensiver Beteiligung von „Milli Görü?“ sind gegenwärtig Bemühungen im Gange, Strukturen zu schaffen, die jenseits der einzelnen Moscheen und Vereine die muslimische Gemeinschaft insgesamt in Gesellschaft und Staat repräsentieren. Damit einher geht das Bekenntnis zur Integration.
Sollte dieser Weg weitergegangen werden, könnte die islamische Gemeinschaft – ähnlich den christlichen Konfessionen oder dem Zentralrat der Juden in Deutschland – gewachsene gesamtgesellschaftliche Verantwortung übernehmen. Auch dazu bekennen sich einige der muslimischen Funktionsträger. Ein Tätigkeitsfeld könnten verstärkte Bemühungen um die Lösung der Probleme muslimischer Jugendlicher der „dritten Generation“ werden. Auf diese Weise würde die aufgeregte und voreilige Reaktion auf „Madrid“, „Amsterdam“ und „London“ widerlegt, die Integration des Islams in Europa sei gescheitert. Der deutsche Bürger muslimischen Glaubens wird eine realistische Perspektive.