Der Nahe Osten ohne Ordnungsmacht - November 2007
Wann haben die USA den Nahen Osten verloren? – das heißt: Wann ist deutlich geworden, dass Washington sein Ziel, auf den Trümmern der gestürzten Diktatur im Irak eine mehr oder minder nach westlichem Muster geformte Demokratie zu errichten, nicht erreichen würde? Unter den möglichen Antworten auf die Frage ist auch diese: Als die ersten amerikanischen Kampfpanzer in Bagdad auffuhren, um das Erdölministerium zu schützen, und zeitgleich die ersten Plünderer in das irakische Nationalmuseum eindrangen. Das Erdölministerium zu schützen, lag nahe; seine Bestände würden für den Wiederaufbau der irakischen Wirtschaft, deren Grundlage das Erdöl sein würde, essentiell sein. Die Kontrolle über die irakische Erdölwirtschaft war schließlich auch der Kern des Interessenbündels, das die Regierung von Präsident George W. Bush bestimmt hatte, im Irak einen „regime change“ herbeizuführen, aus dem am Ende ein Washington eng verbundenes demokratisches Regime hervorgehen würde. Dass aber, wer antrat, das irakische Gemeinwesen neu zu ordnen, jener Dokumente bedürfen würde, die im Museum von Bagdad aufbewahrt waren, ist gar nicht oder verhängnisvoll spät ins Bewusstsein der Politik-Gestalter in Washington getreten. Die Neuordnung würde nur dann angenommen werden, wenn sie an Geschichte und Kultur der Menschen, die gesellschaftlichen Strukturen, an die Selbstidentifikation der Iraker unterschiedlicher ethnischer und religiöser Zuordnung anknüpfen würde. Der verblendete Import westlicher Ordnungsvorstellungen ohne Respekt vor der Tradition musste scheitern.
Mit dem Irak ist der Anspruch auf „Demokratisierung“ in der gesamten Region des „Greater Middle East“ bis auf weiteres gescheitert. Dies nicht, weil die Menschen in der Region zwischen dem Mittelmeer und dem Indischen Ozean Wandel und politische Neuordnung nicht wollten;1 sondern weil die Regime leichtes Spiel hatten, ihrer Öffentlichkeit deutlich zu machen, dass die Intentionen Washingtons weniger mit dem Wunsch der Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse, sprich: der Modernisierung ihrer politischen Ordnungen als vielmehr mit einem Dominanzanspruch zu tun hätten, der nunmehr in moderner, also demokratischer Verpackung daherkommen würde. Die Entscheidung, die mit Washington befreundeten Staaten zwischen dem Mittelmeer und dem Persischen Golf erheblich aufzurüsten, 2 ist als Scheitern der seit 2002 verfolgten Nahostpolitik Washingtons zu bewerten.
Die Reise von Außenministerin Condoleeza Rice und Verteidigungsminister Robert Gates Ende Juli/Anfang August 2007, auf der die beiden Minister Elemente der neuen Nahostpolitik Washingtons in den nahöstlichen Hauptstädten bekannt machten, lässt erkennen, dass sich die Halbwertzeit der Geltung amerikanischer Konzepte, den Nahen und Mittleren Osten im Einklang mit amerikanischen Interessen zu gestalten, verkürzt hat. Mehr noch – sie lässt erkennen, dass Washington seine Fähigkeit, im Nahen Osten eine Führungsmacht aus eigenem Machtpotential heraus zu sein, dramatisch eingebüßt hat; ja, es muss sich auf Agenden einlassen, die nicht mehr in Washington geschrieben werden. Der Sommerkrieg im Libanon (2006), von dessen Ausbruch die amerikanische Regierung überrascht war und in dem sie dann in falscher Einschätzung der militärischen Lage zunächst auf einen israelischen Sieg setzte, ist einer der bislang (Herbst 2007) letzten Belege dafür.
Anhaltender Machtverfall
Tatsächlich ist die Abnahme der Fähigkeit der USA, die Rolle einer Ordnungsmacht zu übernehmen, welche sich in der abermaligen Volte amerikanischer Nahostpolitik offenbart, eine Entwicklung, die sich bis in die siebziger Jahre zurückverfolgen lässt. Als sich damals Großbritannien aus der Golfregion zurückzog, mit den Emiraten eine neue Staatenwelt entstand und sich nahöstliche Regierungen zunehmend entschlossen zeigten, die Ölwirtschaft in eigene Hände zu nehmen, suchten die USA Stabilität und Einfluss in der Region zu wahren, indem sie die dezidiert prowestlichen Mächte Iran und Saudi-Arabien zu Eckpfeilern ihrer Politik am Golf machten. Militärische Aufrüstung war auch damals ein zentrales Element dieser amerikanischen Politik. Dieses Konzept brach Ende des Jahrzehnts zusammen. Im April 1978 putschte sich in Kabul eine marxistische Partei an die Macht; Ende 1979 begann die Intervention der Sowjetunion in dem Land. Am Horn von Afrika wendete sich das revolutionäre Äthiopien der Sowjetunion zu. Zentrales Ereignis aber in dieser Kette von Umbrüchen war die Revolution in Iran im Februar 1979. Die Geiselnahme an der amerikanischen Botschaft in Teheran (vom 4. November 1979 über 444 Tage) ließ symbolisch erkennen, dass mit dem politischen Islam (in diesem Fall khomeinistisch-schiitischer Prägung) eine Kraft erwachsen war, die die USA im Nahen Osten entschlossen herausfordern würde. Der mit dem Überfall Saddam Husains auf den revolutionären Iran im Herbst 1980 ausbrechende erste Golfkrieg drohte zeitweise die politische Ordnung am Golf/auf der Arabischen Halbinsel zu gefährden. Angesichts dieser komplexen Herausforderung brachte Präsident Jimmy Carter in seiner „State of the Union“ Ansprache am 23. Januar 1980 die Entschlossenheit der USA zum Ausdruck, jedem Versuch einer äußeren Macht, die Kontrolle über den Persischen Golf zu erlangen, mit allen notwendigen Mitteln, einschließlich der Anwendung militärischer Gewalt, zu begegnen.
Im Mittelpunkt amerikanischer Politik im Jahrzehnt der achtziger Jahre standen die Bemühungen, das Übergreifen des von Teheran ausgehenden islamisch-revolutionären Funkens auf die Nachbarregion zwischen dem Irak und dem Libanon (wo Iran seit 1982 die Hizbollah aufbaute) einzugrenzen. Kernstück dieser Strategie war die diplomatische und militärische Unerstützung des Irak, die so weit ging, über Jahre dazu zu schweigen, dass Bagdad den Krieg begonnen und im Verlauf dieses Krieges sowie in der gewalttätigen Auseinandersetzung mit den Kurden Giftgas eingesetzt hatte. Der Hizbollah und anderen gewaltbereiten Organisationen gelang es nicht nur, Druck auf Israel, das seit 1982 Teile des Libanon besetzt hielt, auszuüben; vielmehr verhinderten die radikalen Kräfte im Mai 1983, dass die libanesische Regierung auf amerikanischen Druck hin als (nach Ägypten) zweiter arabischer Staat einen Friedensvertrag mit Israel abschließen würde. Mit dem Ausbruch der ersten palästinensischen Intifada (1987) hörte die internationale Gemeinschaft einen Namen, der sie zunehmend beunruhigen sollte: Hamas (Harakat al-Muqawama al-Filastiniya – Bewegung des palästinensischen Widerstandes).
Das Jahrzehnt amerikanischen Containments gegen die Ausbreitung der Einflüsse des islamisch-revolutionären iranischen Regimes (das sich am 20. August 1988 gezwungen sah, einen Waffenstillstand mit dem irakischen Diktator abzuschließen) endete, als sich Saddam Husain seinerseits entschloss, die Ordnung am Golf zu verändern. Anfang August 1990 überfielen und besetzten irakische Truppen das Emirat Kuwait. Die USA setzten sich an die Spitze einer auf der Grundlage von Beschlüssen der UNO agierenden militärischen Koalition zur Vertreibung Saddam Husains aus Kuwait. Der „zweite Golfkrieg“ endete im März 1991. Für das nachfolgende Jahrzehnt standen zwei Strategien im Mittelpunkt der Einflusserhaltung Washingtons im Nahen und Mittleren Osten: Saddam Husain „in the box“ zu halten und der Präsenz amerikanischer Truppen auf dem „heiligen Boden“ Saudi-Arabiens im Kampf gegen den Diktator durch die Initiative eines Friedensprozesses zwischen Israel und seinen Nachbarn Legitimation zu verleihen. Enormem internationalen Druck nachgebend hatte der Führer der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO), Jasir Arafat, im November (19. Nationalkongress der PLO in Algier) und Dezember (in Genf tagende UNO-Vollversammlung) 1988 die Existenz und das Existenzrecht Israels anerkannt und dem Terror eine Absage erteilt.
Mit dem 1991 besiegelten Zerfall der Sowjetunion war eine neue weltpolitische Konstellation entstanden. Die USA waren nunmehr die einzige Supermacht im internationalen System, ein Umstand, der sich auch auf den Nahen und Mittleren Osten auswirken musste. Hatte Saddam Husain erwartet, Moskau würde seinen Gewaltakt gegen Kuwait hinnehmen und eine gemeinsame Aktion der internationalen Gemeinschaft gegen ihn blockieren, so sah er sich enttäuscht. Moskau stimmte im Sicherheitsrat der UNO der gewaltsamen Befreiung des Emirats zu, nachdem Versuche, die irakischen Truppen mit diplomatischen Mitteln zum Rückzug zu bewegen, gescheitert waren.
Das Scheitern des Oslo-Prozesses und seine Folgen
Auch auf das israelisch-palästinensische Verhältnis wirkte sich der tiefgreifende Wandel der politischen Kräfteverhältnisse zunächst positiv aus. Bereits am 1. März 1991 kündigte Präsident George Bush (senior) an, dass die USA nach dem Krieg am Golf nun zu einer starken Rolle beim Zustandebringen von Frieden und Stabilität im Nahen Osten entschlossen seien. Wenige Tage später nannte er in einer Rede vor beiden Häusern des Kongresses eine Reihe zentraler Elemente für die Errichtung einer stabilen Friedensordnung im Nahen Osten; als deren drittes spezifizierte er die Überwindung des arabisch-israelischen Konflikts. Wie schwierig es gleichwohl auch für die Supermacht war, die Grundlage für einen Friedensprozess zu legen, musste Außenminister James Baker in den folgenden Monaten erfahren. Erst im Oktober 1991 traten die Konfliktparteien (Israel und die arabischen Frontstaaten; die Palästinenser waren Teil einer gemeinsamen jordanisch-palästinensischen Delegation) in Madrid zu einer Konferenz unter dem Vorsitz der USA (Ko-Vorsitz: die noch existierende Sowjetunion) zusammen. Ausgehend von diesem multilateralen Auftakt (der arabischen Wünschen entsprach) gingen die Verhandlungen anschließend in einen bilateralen Rahmen (der israelischen Wünschen entsprach) über. Die Gespräche gerieten bald in die Sackgasse. Erst mit dem „Oslo-Prozess“ erhielt das Verhandlungsgeschehen – nunmehr in bilateralem israelisch-palästinensischem Format – ab dem Herbst 1993 eine neue Dynamik.
An diesem Punkte wird das Versagen Washingtons unübersehbar. Zwar gingen die Bilder von der Unterzeichnung der Prinzipienerklärung und dem historischen Händedruck zwischen Jitzhak Rabin und Jasir Arafat auf dem Rasen vor dem Weißen Haus im September 1993 um die Welt; und Präsident Bill Clinton war bemüht, das amerikanische Engagement in hellem Licht erstrahlen zu lassen. Am Ende war Washington trotz seiner einzigartigen internationalen Machtstellung nicht in der Lage, den „Oslo-Prozess“ zu einem positiven Abschluss zu bringen. Mit dem Ausbruch der „zweiten Intifada“ Ende September 2000 wurde dieser neuerliche Versuch der Lösung des palästinensisch-israelischen Konflikts abgebrochen. Auslöser des palästinensischen Aufstandes war ein provokanter Besuch des israelischen Oppositionsführers Ariel Sharon im muslimischen Haram al-Sharif auf dem Tempelberg am 28. September. Zu den bösen Vermutungen, warum Sharon den Besuch zu diesem Zeitpunkt durchgeführt habe, gehört auch diejenige, dass es ihm darum gegangen sei, die unbedingte und vollständige Souveränität Israels über den gesamten Tempelberg unter Einschluss der islamischen Heiligtümer zu manifestieren.
Washington hat nicht vermocht zu verhindern, dass extremistische Kräfte auf beiden Seiten die Agenda der Beziehung zwischen Israel und den Palästinensern nachhaltig bestimmt haben. Während Verhandlungen im Rahmen des Oslo-Prozesses geführt wurden, haben israelische Siedler die Landnahme palästinensischen Bodens fortgesetzt. Extremistische Palästinenser haben darauf mit Gewalt geantwortet, lange bevor es im Rahmen der „zweiten Intifada“ zu palästinensischem Selbstmordterrorismus kam. Der Bau der Mauer hat nicht nur weitere Landnahme beinhaltet, sondern die Lebenssituation der Palästinenser im ganzen weiter gravierend verschlechtert. Dies war einer der Gründe für den Wahlsieg der Hamas in den Wahlen vom Januar 2006. Die Tatsache, dass die internationale Gemeinschaft, angeführt durch Washington, das Ergebnis einer Wahl, die nach unwidersprochener Einschätzung ordnungsgemäß durchgeführt wurde, nicht anerkannt hat und die Palästinenser mit wirtschaftlichen Sanktionen belegt wurden, bedeutete Rückenwind für die radikalen Elemente innerhalb der Hamas. Die Radikalisierung ist in unmittelbarem Zusammenhang mit der gewalthaften Machtübernahme durch die Hamas im Gaza-Streifen im Juni 2007 zu sehen. Sie steht aber auch in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Ausbruch des Krieges im Libanon im Sommer (Juli) 2006. Radikale Elemente in der Hamas hatten am 25. Juni einen israelischen Soldaten gekidnappt. Als das israelische Militär auf diese Provokation mit großer Härte reagierte, machte die libanesische Hizbollah mit einer ähnlichen Aktion am 12. Juli eine zweite Front gegen Israel auf. Dass man in Washington diese Situation und den Verlauf des sich anschließenden Krieges im Libanon falsch eingeschätzt hat, war oben bereits festgestellt worden.
Kontraproduktiver „war on terrorism“
Das Fehlen nachhaltiger Initiativen im israelisch-palästinensischen Konflikt ist untrennbar mit Washingtons Strategie im „Kampf gegen den Terrorismus“ im Gefolge des Terroranschlags vom 11. September 2001 in New York verbunden. Israel wurde zu einem unverzichtbaren Partner im Kampf gegen den Terror – war es doch in israelischer und amerikanischer Wahrnehmung selbst Opfer eines palästinensischen Terrorismus. Iran, das die Nordallianz in Afghanistan bei der Vertreibung der Taliban aus Kabul im Herbst 2001 unterstützte (und somit militärisch de facto mit den USA alliiert war), wurde in der Ansprache Präsident Bush’s zum „State of the Union“ am 29. Januar 2002 auf der „Achse des Bösen“ (axis of evil) verortet und dem Verdikt unterworfen, den islamistischen Terror zu unterstützen. Die Fehlentscheidung mit der größten negativen Tragweite für die politische Gestaltungsfähigkeit der USA im Nahen Osten war die Entscheidung des amerikanischen Präsidenten, den Irak anzugreifen, um auf den Trümmern des gestürzten diktatorischen Regimes eine demokratische Ordnung zu errichten. Der breitere Hintergrund der Maßnahme war das 2002 in Washington auf die politische Agenda gesetzte Projekt, den „weiteren Mittleren Osten“ (broader Middle East) zu demokratisieren in der Erwartung, dies werde die terroristischen Potentiale und Kräfte nachhaltig verringern. Obwohl der Präsident und seine Umgebung über die Folgen durch zahlreiche internationale Experten hätten gewarnt sein müssen, begann das Unternehmen im März 2003. Ende 2007 ist der Irak noch immer ein failing state. Nicht nur hält der Widerstand gegen „die Besatzer“ an; vielmehr wurde eine neue Qualität an Gewalt entfacht, als deren diffuses Feindbild „der Westen“ propagiert wird. Die Gewaltakte sind nicht auf den Irak beschränkt geblieben. Seit dem Beginn der militärischen Vorbereitungen des amerikanischen Aufmarsches zum Krieg gegen den Irak Anfang 2002 ist die Spur der Gewalt in weiten Teilen der islamischen Welt als ganzer, insbesondere aber im Nahen Osten, in Süd- und Südostasien zu verfolgen. Spätestens mit den Terrorakten von London im Juli 2005 hat sie auch Europa erreicht.
Feindbild Iran
Jenseits des zunehmenden Gewichts islamistischer Akteure, das sich im Zusammenhang mit dem Sommerkrieg im Libanon zeigte, ist die Islamische Republik Iran zu einer Macht geworden, die die USA offen im Nahen Osten herausfordert. Indem Präsident Bush Iran auf die „Achse des Bösen“ setzte, trug er wesentlich zur Delegitimierung des iranischen Präsidenten Khatami und der von ihm verfolgten Politik einer iranischen „Perestroika“ bei und bereitete dem Wahlsieg konservativer und antiwestlicher Kräfte in den Parlamentswahlen vom Februar 2004 und des radikal-islamistischen Mahmud Ahmadineschad in den Wahlen vom Juni 2005 den Boden. Bereits unter Khatami war bekannt geworden, dass Teheran an einem Programm zur Nutzung der Kernenergie arbeite. Da Verhandlungen, die seit 2002 geführt wurden, zu keinem Ergebnis führten, begann der Sicherheitsrat der UNO – nicht zuletzt auf amerikanischen Druck hin – Sanktionen zu verhängen. Mit der Machtübernahme Ahmadineschads wurde die Nuklearfrage Bestandteil einer Strategie, die die internationale Gemeinschaft, insbesondere die USA, direkt herausfordert. Im Irak ist Iran zu einem offenen Widersacher der USA geworden, indem Teheran schiitische Kräfte, nicht zuletzt auch die Milizen politischer Gruppierungen, unterstützt. Als Folge davon werden die Druckpotentiale auf Teheran, die Urananreicherung bis auf weiteres einzustellen, geringer; denn ein Iran, der sich durch Sanktionen in einer Angelegenheit unter Druck gesetzt sieht, die von einer großen Mehrheit der Iraner als gerecht wahrgenommen wird (dies bezieht sich zumindest auf das Recht Irans, die Kernenergie friedlich zu nutzen), ist in der Lage, seine Einmischung im Irak auszuweiten. Angesichts der massiven Präsenz Teherans im Irak hat auch Riyad ganz unverhohlen gedroht, sunnitische Gruppen in ihrem Kampf zu unterstützen, sollten sich die USA aus dem Irak zurückziehen und das Land sich selbst überlassen. Die enge Allianz Teherans mit der libanesischen Hizbollah ist eine weitere Ebene der iranischen Herausforderung. Ganz unverhohlen stand Teheran auf der Seite derer, die sich im Sommerkrieg 2006 zum Sieger ausriefen. Und mit der militanten Rhetorik gegen Israel sowie der Leugnung des Holocaust, will der iranische Präsident nicht nur demonstrieren, dass er sich über Tatbestände hinwegsetzt, über die in der internationalen Gemeinschaft weithin Konsens besteht; auch sucht er damit diejenigen im Nahen Osten auf seine Seite zu bringen, die angesichts einer als „arrogant“ und „ungerecht“ empfundenen Politik des Westens offen sind für eine militante und herausfordernde Ansprache.
In dieser Situation, da die USA im Nahen Osten offenkundig orientierungslos geworden sind und sich durch antiamerikanische Kräfte herausgefordert sehen, sucht der amerikanische Präsident ein Konzept, das geeignet ist, die USA in der Region wieder als Führungs- und Ordnungsmacht erscheinen zu lassen. Das Feindbild Iran wird in den Mittelpunkt dieses politischen Ansatzes gerückt. Dabei geht der amerikanische Präsident von der Annahme aus, dass die Politik Irans im Nahen Osten, radikale islamistische Kräfte zu unterstützen, bei den konservativen Regierungen der Region auf Beunruhigung stößt. Die Perspektive einer nuklearen Rüstung Teherans schärft Bedrohungsängste gleichermaßen in Israel wie in den Iran benachbarten arabischen Staaten im Nahen Osten. Wenn schließlich der jordanische König Abdallah II. von einem „schiitischen Halbmond“ warnt (dieser ist wohl zwischen dem Iran im Osten und dem Libanon im Westen zu lokalisieren), so spielt er auf das mögliche Wiederaufleben einer Verwerfung im Nahen Osten an, die tief in der Geschichte des Islams ihre Wurzeln hat. Vor dem Hintergrund dieses „Feindbildes Iran“ sucht Präsident Bush eine Achse aufzubauen, auf der sich die von Iran „bedrohten“ arabischen Regime und Israel zusammenfinden. Eine gemeinsame Plattform dieser so unterschiedlichen Staaten ist nur dann zu organisieren, wenn es zu minimalen Fortschritten im Friedensprozess zwischen Israel und den Palästinensern kommt. Dass damit auch die Pläne fallengelassen werden müssen, die auf eine Demokratisierung des Nahen Ostens ausgerichtet waren und zu tiefer Beunruhigung unter den Machthabern geführt hatten, versteht sich von selbst. Vor diesem Hintergrund sind die bereits erwähnten Zusagen substantieller Waffenlieferungen der USA an die arabischen Staaten auf der Halbinsel sowie Israel zu sehen. Sie sollen die Entschlossenheit Washingtons manifestieren, die Sicherheit seiner Freunde und Verbündeten gegen ein Land zu verteidigen, dessen Regierung die Sicherheit seiner Nachbarn gefährde, den internationalen Terrorismus unterstütze und den Holocaust sowie das Existenzrecht Israels leugne.
Die Tragfähigkeit dieses Konzepts, das eine Anzahl von unkalkulierbaren Entwicklungen beinhaltet, darf bezweifelt werden. Es ist aus der vierfachen Not geboren worden, im israelisch-palästinensischen Konflikt die Initiative zurückzugewinnen, die an der Führungskraft Washingtons zweifelnden arabischen Regierungen wieder fester an sich zu binden, die Konzeptlosigkeit im Irak zu überspielen und den Druck auf Iran in der Nuklearfrage zu erhöhen. Dass letzteres misslingt und Washington sich vor die fatale Alternative gestellt sehen würde, Iran nuklear gehen zu lassen oder dies durch einen Militärschlag zu verhindern, ist die größte Unbekannte in der Antwort auf die Frage nach der Halbwertzeit des Bestands der neuerlichen Nahostinitiative der amerikanischen Regierung. Der Plan enthüllt aber auch, dass die USA im Nahen Osten nicht mehr eine Führungsmacht, sondern ein politischer Akteur sind, der von der Vergangenheit seiner Fehleinschätzungen und Fehlleistungen eingeholt und von auswärtigen Kräften unter Handlungsdruck gesetzt wird. 3
Schließlich hat Washington auch erfahren müssen, dass sich die Wandlungen des internationalen Systems auf die Handlungsspielräume amerikanischer Politik im Nahen Osten negativ ausgewirkt haben. Südasien und der Ferne Osten haben in den letzten Jahren als Wirtschaftpartner insbesondere für die ölproduzierenden arabischen Staaten und Iran an Bedeutung gewonnen. Dass dies auch politisch zu Buche schlägt, hat der saudische König Abdallah deutlich gemacht, als er seine erste Auslandsreise nach der Amtsübernahme nach Peking (im Januar 2006) und nicht in eine westliche Hauptstadt unternahm. Im Falle der Nuklearfrage hat China, das massiv in die iranische Ölwirtschaft investiert, die Grenzen seiner Kooperationsbereitschaft mit Washington erkennen lassen: Gemeinsam mit Russland, das ebenfalls wieder auf die nahöstliche Bühne zurückgekehrt ist und sich vor allem in Iran beim Bau des Reaktors von Bushihr engagiert hat, geben der Fortsetzung der Verhandlungen eine klare Priorität vor der Eskalation des Druck- und Sanktionspotentials von Seiten des Sicherheitsrates.
Von langfristig großer Tragweite mit Blick auf die Qualifikation einer „westlichen Führungsmacht“ im Nahen Osten ist ein nachhaltiger Verlust an Glaubwürdigkeit mit Blick auf jene Werte, die der Westen als seine Politik bestimmend reklamiert. Die nahezu bedingungslose Unterstützung für die Politik Israels gegenüber den Palästinensern durch Washington ruft seit Jahren den Vorwurf der doppelten Standards auf den Plan.4 Der auf massiver Täuschung der Weltöffentlichkeit beruhende Militärschlag gegen den Irak und das Versagen Washingtons bei der Herstellung einer neuen stabilen Ordnung in dem Land sowie schließlich die Justizskandale, die den Namen Guantanamo und Abu Ghraib tragen, haben den Glauben vieler Menschen im Nahen und Mittleren Osten an die Verheißungen der USA erschüttert, die internationale Ordnung auf für alle Menschen gleichermaßen bindenden Prinzipien zu gründen. Profitiert haben davon diejenigen, die „den Westen“ im Namen eines selbst gedeuteten Islams gegebenenfalls mit Gewalt zurückzuweisen suchen, und diejenigen, die eine Rechtfertigung für den Status quo aus ihren eigenen „guten“ Traditionen ableiten. Damit aber entzieht sich der Nahe Osten immer weiter der (Mit-)Gestaltung durch die amerikanische Politik im Sinne einer dauerhaften und langfristigen Stabilität der Region. Dass ein Militärschlag gegen die iranischen Nuklearinstallationen, der im Herbst 2007 weithin diskutiert wird, die hier dargelegten Entwicklungen weiter beschleunigen und zuspitzen würde, sei abschließend mit Nachdruck festgestellt.
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2 The New York Times, 28.7.2007; Spiegel Online, 28. und 30.7.2007 – http://www.spiegel.de/politik/ausland
3 Nur als Fußnote sei an dieser Stelle auf die Verschlechterung des amerikanisch-türkischen Verhältnisses hingewiesen, die im Zusammenhang mit der amerikanischen Operation gegen Saddam Husain zu beobachten ist. Insbesondere mit Blick auf militärische Maßnahmen gegen die von irakischem Boden aus operierende kurdische PKK ist es zu Divergenzen gekommen. Diese könnten sich zu offenen Gegensätzen ausweiten, wenn sich die politische und militärische Führung in der Türkei entscheidet, den „türkischen Interessen“ zu folgen, ohne länger Rücksicht auf amerikanische Interessen im Irak zu nehmen.
4 Vgl. Mearsheimer, John J. and Walt, Steven M.: The Israel Lobby and U.S. Foreign Policy, in: London Review of Books, Vol. 28 (March 23, 2006), Nr. 6.